Sorgenvoll sehen Bindu Maya und Gun Bahadur sich an und mögen nicht aussprechen was sie beide denken. Der Husten der Oma wird einfach nicht besser und sie hat fast keine Kraft mehr, den steilen Weg zum Dorf hinaufzugehen. Gestern hatte Gun Bahadur sogar den Sanitäter vom Healthpost nach Hause gerufen, weil er solche Angst um die Großmutter hatte.
Die Medizin, die er gegeben hat hilft aber nicht richtig und die Oma quält sich sehr. „Ihr Gesicht wird immer ganz dunkelblau und sie hat schon den ganzen Tag keinen Reis angerührt“, sagt Bindu Maya zu ihrem Bruder. „Ich fürchte, dass sie uns für immer verlassen wird – was sollen wir nur machen?“ meint das Mädchen und legt Feuerholz nach auf der Kochstelle, damit es die Oma etwas warm hat.
Die Kinder sind von der Großmutter aufgezogen worden, denn die Mutter ging kurz nach der Geburt von Gun Bahadur mit einem anderen Mann weg und der Vater hat angefangen zu trinken.
Die harte Arbeit auf den Terassenfeldern im Dorf wurde von den Großeltern erledigt und so hatten sie über Jahre ein Auskommen. Sie bauten Mais und Kartoffeln an und die Kuh versorgte sie mit Milch. Der Großvater starb im Alter von 46 Jahren an einer ungeklärten Krankheit.
Bindu Maya und Gun Bahadur mussten sehr früh in der Landwirtschaft mithelfen. Stolz führte Gun Bahadur den Wasserbüffel zum Pflügen über die kleinen Felder. Bindu Maya ist schon lange für den Haushalt zuständig. Sie macht frühmorgens das Feuer an und kocht den Tee. Sie versorgt die Ziegen und kocht den Reis. Aber bei allem ist doch die Großmutter, auch wenn sie schon lange diese Atemnot hat, im Hintergrund und kann gefragt werden, wenn die Kinder unsicher sind.
Der Sanitäter hat gesagt, die Oma hat eine chronische Entzündung der Bronchien, und dass das vom Rauchen kommt, aber sie raucht ja gar keine Zigaretten wie die anderen Frauen in der Nachbarschaft. Er hat auch gesagt, dass die Medizin nur wenig helfen wird und dass man nichts weiter machen kann für die kranke Frau.
Bindu Maya wird zur liebevollen Krankenschwester, sorgt für das Feuer, und dass immer etwas Tee bereit steht. Sie steckt der Oma ein Strohbüschel in den Rücken damit sie besser sitzen kann, denn im Sitzen bekommt sie besser Luft.
Gun Bahadur hat schon öfter vorgeschlagen dass sie die Großmutter zum Hospital bringen sollten, aber das lehnte die Oma immer entschieden ab. So können sie nicht mehr tun.
Die alte Frau stirbt gegen Morgen und findet Ruhe nach langen Jahren qualvoller Atemnot.
In der Volksgruppe der Tamang werden die Toten in sitzender Position mit gelben Tüchern und Blumen geschmückt durch das Dorf zum Verbrennungsplatz getragen. Die Großmutter war gut bekannt und geehrt im Dorf und alle Nachbarn legen die Arbeit nieder um an der Verbrennung teilzunehmen. Aus jedem Haus wird ein Teller mit gutem Essen mitgebracht um die unruhigen Geister in der Umgebung zu füttern. Eine Prozession schiebt sich am Hügel entlang vom Haus bis hinauf in den Wald zum Verbrennungsplatz.
Bindu Maya und Gun Bahadur sind die einzigen echten Verwandten, aber alle aus dem Dorf sind da und wie eine große Familie begehen sie die Trauerzeremonie gemeinsam. Bindu Maya ist nur traurig und durch die Tränen in ihren Augen kann sie die Himalaya-Berge kaum erkennen. Dorthin fliegen die Seelen der Verstorbenen, das weiß sie von der Oma.
Gun Bahadur überlegt eher, wie er der Oma hätte helfen können. Vielleicht wenn er mehr Geld gehabt hätte für teure Medikamente?
Nach wenigen Wochen, in denen die Kinder sich mit der neuen Situation vertraut machen mussten, hört Bindu Maya in der Frauengruppe im Dorf von den rauchfreien Küchenöfen, die eine Organisation zur Verfügung stellt.
Immer am Samstagvormittag werden dort Neuigkeiten und Informationen, aber auch Dorfklatsch und -tratsch ausgetauscht. Manchmal gibt es auch kleine Geschenke, deshalb lohnt es sich immer hinzugehen, zur Frauengruppe.
Heute war ein Tamang-Mann aus dem nächsten Bezirk zu Gast, der mit Bildern und Heften über einen Lehmsteinofen zum Kochen berichtete und über die Vorteile. Ein Argument geht Bindu Maya nicht aus dem Kopf: „Chronische Lungenerkrankungen soll der Ofen verhindern“, berichtet Bindu Maya ihrem Bruder. „Weil der Qualm vom Kochfeuer die Lungen angreift, und das ist wie Zigaretten rauchen oder schlimmer“ hatte der Tamang-Mann gesagt. Dabei hatte Bindu Maya sich an die Oma erinnert, die nie Zigaretten geraucht hatte, wohl aber Zeit Lebens vor dem qualmenden Kochfeuer gesessen hatte.
Es ist abgemacht, sie werden so einen Ofen eingebaut bekommen. Bindu Maya hat schon drei Körbe Lehmerde vom Feld geholt und auf dem Hof ausgeschüttet. Dann braucht sie noch zwei Körbe voller Kuhdung, der ja überall zu finden ist.
Gun Bahadur ist am Morgen losgegangen um den Ofenbauer von der Straße abzuholen, die hoch über ihrem Dorf verläuft. Dabei will er auch gleich einen Sack Reisschalen aus der Mühle mitbringen.
Bindu Maya hat das Kochfeuer kräftig geschürt und es qualmt ordentlich, aber der Gast soll ja auch einen Milchtee und eine gute Reismahlzeit bekommen, bevor er mit der Arbeit beginnt. Sie ist ja schon so gespannt wie alles wird.