Geschichte einer Ofenentwicklung
In Äthiopien wurden wir mit Kochgewohnheiten konfrontiert, die es nötig machten, einen neuartigen Ofen zu konstruieren. Im Norden des Landes ernährt man sich hauptsächlich von Injera, einem Fladenbrot. Es wird auf einer Tonplatte von etwa 65 cm Durchmesser zubereitet, dem sogenannten Met'ad. Ein meist aus dem endemischen Getreide Teff hergestellter Sauerteig wird von den Frauen mit viel Geschick dünn auf dem Met'ad ausgebracht und gart einige Minuten unter einem Deckel (siehe Bild).
Für die Zubereitung wird große Hitze benötigt, weshalb der Holzverbauch einer ländlichen Familie zum gößten Teil der Zubereitung von Injera (2-3 mal pro Woche) zuzuschreiben ist. Zum guten Gelingen eines Injera ist es wichtig, dass die Hitzeverteilung auf der Platte möglichst gleichmäßig ist und dass die Platte exakt eben ausgerichtet ist.
Dies waren die Erkenntnisse, die wir (Katharina und Frank) von unserer ersten Erkundung 2013 aus Äthiopien mitbrachten und die wir an Christoph Ruopp weitergaben, Ofensetzer aus Wain in Schwaben.
Der erste Prototyp. Von links: Christoph, Frank, Katharina
Noch im selben Sommer fertigte Christoph in seiner Werkstatt den ersten Prototypen. Wir wiesen die Funktionsfähigkeit nach, indem wir zum Abendessen Pfannkuchen zubereiteten. Außer Injera sollen auch Gemüse oder Bohnenbrei (Wot) auf dem Ofen zubereitet werden können. Wir wollten diese Anforderung dadurch erfüllen, dass ein zweiter Met'ad mit einem Loch in der Mitte versehen werden und dann im Wechsel mit einer "normalen" Platte zum Einsatz kommen sollte.
Unter dem im Bild sichtbaren Topf ist keine Feuerstelle. Er wird nur von den auf dem Weg zum Kamin vorbeiströmenden Abgasen erhitzt und kann zum Warmhalten von Speisen oder zur Warmwasserbereitung neben dem Kochen verwendet werden.
Diskussion am ersten Prototyp in Äthiopien
Mit diesen Vorstellungen im Gepäck reisten wir (Christoph, Katharina und Frank) im Herbst 2013 nach Alem Ketema, bauten den ersten Ofen auf und führten ihn den Frauen vor. Die Idee, einen Met'ad mit einem Loch zu versehen, kam nicht gut an. Die Platte ist ein geschätztes Wertobjekt und die Vorstellung, es zu durchlöchern, war den Frauen offensichtlich unangenehm.
Außerdem sei es nicht praktikabel, die Platte regelmäßig auszuwechseln. Die Gefahr, sie dabei zu beschädigen sei zu groß. Schließlich sei auch die exakt ebene Ausrichtung der Platte aufwändig und könne nicht alle zwei bis drei Tage wiederholt werden.
Diskussion am nächsten Prototyp
Wir mussten also die Konstruktion in wesentlichen Teilen überdenken. Da der Met'ad ortsfest verbaut werden sollte, mussten wir für die Zubereitung von Wot und Gemüse eine zweite Feuerstelle einplanen. Weil ausreichend Platz zur Verfügung stand, führten wir die Abgase der Wot-Feuerstelle unter einem zweiten Topf hindurch zu einem dritten und dann schließlich in den Kamin. Die Abluft der Injera-Kochstelle führten wir direkt unter den dritten Topf und dann zum Kamin.
Der Ofen war jetzt sehr variabel einzusetzen und man konnte gleich mehrere Speisen gleichzeitig zubereiten und nebenbei noch warmes Wasser erzeugen. Allerdings war er jetzt auch deutlich größer und vor allem komplizierter zu bauen. Bei der Vorführung erhielten wir Zustimmung von allen Anwesenden und vereinbarten daraufhin, in einigen Haushalten erste Öfen zur Langzeiterprobung aufzustellen.
Bei dieser Gelegenheit erhielt der Ofen auch seinen Namen. Er wurde nach Christoph, seinem Schöpfer benannt. Im Amharischen wird dieser Name Christos ausgesprochen. Da es sich um die zweite Version handelte, ergab sich "Christos 2".
Die ersten beiden Öfen bekamen in den folgenden Tagen vertraute Personen: Dessalegn, der Koordinator der Partnerschaft Alem Ketema-Vaterstetten und Abebaw, der uns während unserer Anwesenheit als Dolmetscher gedient hatte. Einen dritten Ofen bauten wir in einem traditionellen Tukul, ein vierter entstand in einem Restaurant und sollte dort dem intensiven Gebrauch standhalten.
Training: Ofenbau mit Schablonen
Die Rückmeldungen aus Alem Ketema in den nächsten Monaten waren positiv: Die Öfen wurden genutzt und funktionierten zur Zufriedenheit ihrer Besitzer. Also starteten wir im Frühjahr 2014 das erste Training für Ofenbauer in Äthiopien.
Christoph Ruopp und Marius Dislich waren für den praktischen Teil des Trainings verantwortlich. Um den zwanzig Lernenden den Umgang mit der Komplexität des Ofens zu erleichtern, hatten sie stabile Schablonen aus LKW-Plane mitgebracht, mit denen man die Anordnung der Ziegel am Boden markieren konnte. Damit waren auch die Abmessungen des Ofens festgelegt und die Reproduzierbarkeit sichergestellt.
Den theoretischen Teil (Technik, Gesundheit, Sicherheit etc.) übernahmen Katharina und Frank. Abgerundet wurde das Training durch Rita Klemmayer und Luc Maystadt, die die Schüler mit Lektionen und Übungen auf ihre Tätigkeit als Kleinunternehmer vorbereiteten.
Nach dieser ersten Phase des Trainings schloss sich eine zweiwöchige Periode an, in der die frisch ausgebildeten Ofenbauer ihre Fähigkeiten in Haushalten erprobten, in denen sie unter Anleitung die ersten Öfen einbauten. Diese Art der Kombination von Training und angeleitetem Bauen unter realen Bedingungen ist seither Blaupause für unsere Trainings in Äthiopien (vollständige Liste aller Schulungen in Äthiopien).
Um den Ofen unter der Bevölkerung bekannt zu machen und zu bewerben, errichteten die Schüler ein Exemplar auf dem Wochenmarkt von Alem Ketema. Sie studierten ein Theaterstück ein, das sie auf dem Samstagsmarkt aufführten, zu dem die Stadtbewohner und die Landbevölkerung aus den umliegenden Dörfern zusammenkommen. Im Laufe dieser Aktion füllten sich die Auftragsbücher. So waren bei unserer Abreise nach einem Monat alle Voraussetzungen für einen erfolgreichen Start des Projekts gegeben - dachten wir.
Der erste Chigir Fechi in Alem Ketema
Nach den ersten Erfolgen nahm die Zahl der monatlich gebauten Öfen in Alem Ketema stetig ab. Es stellte sich heraus, dass die aufwendige Konstruktion die Ofenbauer zu viel Zeit kostete und sich viele wieder von dieser Tätigkeit verabschiedeten, weil es sich für sie nicht lohnte.
Auf Anregung von Marius Dislich warfen wir das Konzept des ziegelbasierenden Ofens über Bord und wechselten zu einer Freiform-Version: Der Brennraum für den Met'ad wird, nachdem der Umfang der Platte auf dem Boden aufgezeichnet ist, in Töpfermanier mit den Händen aufgebaut. Die Sitze für die beiden Töpfe werden jeweils um einen Eimer herum hochgezogen, der zum Schluss herausgezogen wird. Nur noch der Kamin wird aus Ziegeln aufgebaut. Youtube-Video: Bau eines Chigir Fechi.
Mit dieser Konstruktion fuhr Christoph nach Alem Ketema und lernte die ersten Ofenbauerinnen an. Es stellte sich heraus, dass sie entgegen unserer Erwartungen hervorragend mit dem Lehm umgehen und mühelos einen gleichmäßig runden glatten Brennraum herstellen konnten. Auf diese Weise ließ sich ein Ofen in einem Bruchteil der Zeit bauen, die für Christos 2 benötigt würde. Der neue Ofentyp erhielt den Namen Chigir Fechi (auf Deutsch: Problemlöser).
Noch im selben Jahr erbrachte Christoph in den Labors der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Addis Ababa einen Effizienznachweis (Stove Test Results) und wir erhielten die Zulassung des Ofens vom Ministerium für Wasser. Bewässerung und Energie (Zulassungsdokument des Ministeriums).
Nach vielen Lernschritten hatten wir endlich einen geeigneten und wirtschaftlich herstellbaren Ofen für die Landbevölkerung in Äthiopien entwickelt.